Llorenç Riber: Campanet
Campanet

Llorenç Riber beschreibt diesen Ort in La minyonia d'un infant orat als Zentrum seiner Kindheit.

Der Dorfplatz war also mein Theater, mein Boxring, meine Sporthalle, die Bühne meiner Wettkämpfe. Hinter diesem Platz sollte die weite Welt sein? Oh, die milden, goldenen Maiabende! Die alte, in der Sonne erglühte Kirche loderte wie ein goldener Leuchter. Sie war warm und pulsierend wie ein großes lebendiges Tier; sie war glatt anzufassen wie altes Elfenbein. Mit ihren Ritzen und Kerben aus alter Zeit war sie ein Zufluchtsort des brennenden Lebens. In jedem Ritz fand sich ein Nest; unter jedem Stein war ein Herzschlag. Der ganze Himmel brodelte von Flügeln und Schreien. Wie gefiederte Pfeile schossen die Mauersegler durch die Luft. Von den Feldern kam ein schwerer Geruch herüber, ein Geruch von Fülle. Die Ähren waren voll und schwellend, die Grannen färbten sich goldgelb. Zwischen Gerste und Hafer explodierte das heftige Blutrot des Klatschmohns. Die Kirschbäume protzten mit dem saftigen Fleisch ihrer Früchte, dem leuchtenden, schmackhaften Rubin. Es war die Zeit der Reife, wo alles lebt, liebt und brodelt.

La minyonia d’un infant orat (The Early Years of a Wild Child), 1935

Übersetzt von Claudia Kalasz. Durchgeführt von Damià Pons.

Llorenç Riber i Campins

(Campanet, 1882 - 1958). Llorenç Riber unterrichtete Rhetorik und Dichtung am Priesterseminar von Palma, in dem er zuvor selbst seine Ausbildung erhalten hatte. Der aus Campanet stammende Schriftsteller und Übersetzer arbeitete an dem von Antoni M. Alcover initiierten katalanischen Wörterbuch mit. Er gehörte auch zur Autorengruppe der Zeitschrift «Mitjorn» und nahm am Ersten Internationalen Kongress zur Katalanischen Sprache teil. 1910 erhielt er bei dem katalanischen Dichterwettstreit Els Jocs Florals in Barcelona die höchste Auszeichnung. Er veröffentlichte seinen Gedichtband Sol Naciente (1912), in dem ein starker Einfluss von Costa i Llobera erkennbar ist. 1913 ließ er sich in Barcelona nieder und begann, lateinische Klassiker für die Fundación Cambó ins Katalanische zu übersetzen, die in der Kollektion Bernat Metge erschienen. Hervorzuheben ist darunter die Aeneis von Vergil. Er veröffentlichte religiöse Bücher in schwülstiger Rhetorik, wie Els sants de Catalunya (1919-22). 1927 wurde er von der Königlichen Akademie der Spanischen Sprache als offizieller Vertreter für Mallorca benannt, mitten in den Jahren der Diktatur unter Primo de Rivera. Dieser Umstand führte zur Distanzierung von seinen vorigen Literatur-Kollgen und auch von seinem Lehrer Antoni M. Alcover. 1935 veröffentlichte er La minyonia d'un infant orat, eine Erzählung, in denen er sich an die Frühlingsmonate seiner Kindheit erinnert. Dabei gebraucht er eine reichhaltige mit Fremdworten gespickte und intellektuelle Sprache und beschreibt eine Fülle an Gerüchen von Blüten und Früchten auf dem Dorfplatz, auf dem er als Kind mit seinen Freunden spielte. Nach dem Bürgerkrieg zog er nach Madrid und widmete sich dem Journalismus und den Übersetzungen ins Spanische der Werke des Heiligen Augustinus und Joan Lluís Vives.

 

La minyonia d'un infant orat

Mit dem Buch La minyonia d'un infant orat ehrte Riber seine Familie und seinen Geburtsort. Er erinnert sich darin in idealisierter Weise an seine Kindheit, an seine Verwandten, seine Vorfahren und andere Leute aus dem Dorf. Der Text verbindet in harmonischer Weise einfaches Dorfidyll mit dem Leben gehobener Schichten. Sein gleichermaßen humorvoller wie scharfzüngiger Stil macht aus dem Buch einen beliebten Klassiker, der nach wie vor in vielen Bücherregalen mallorquinischer Familien steht und zur Pflichtlektüre vieler Schülergenerationen gehörte und noch gehört.

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