ERINNERUNG AN EINE REISE
Manchmal sagen wir: unsere Heimat.
Gewählte Worte, also,
Worte aus Kristall – nicht die
alltäglichen: Arbeit, Tisch, Löffel –
knackige, warme Worte
streicheln das Geklingel des Gesprächs:
mundgerechte Worte
für jeden guten Patrioten.
Und wir lächeln uns komplizenhaft zu.
Also hört mal: Ich habe den Regen
auf den Dächern der Stadt gesehen, Straßen
voll Schlamm, kaum zu begehen, ein Kino
am Samstag, nach Achselschweiß riechend,
die Trauer der Müdigkeit und bewölkte Tage,
beschützt in der Abenddämmerung
der hohen Grafenstadt Besalú.
Ich habe das altgoldene Leuchten im Priorat gesehen, die bedächtigen
Ebenen des Ebros,
fluss - und blutfarben das Wasser; das harte
dramatische Schweigen von Gandesa; das Elend
der ehrwürdigen Stadt Morella in Schutt und Asche.
Ich habe Menschen gesehen
mit ermüdetem Blut,
erniedrigten Knochen über Jahrhunderte hinweg;
Menschen mit Augen wie Messer,
die sie zum bitteren Himmel heben.
Diese Menschen sagen nie: unsere Heimat,
denn sie sind unsere Heimat.
Und dann habe ich mich
an wilde Klippen erinnert;
an das Licht der Fichtenwälder, an die Gebirge der Insel;
an den samtenen Duft
des Rosmarins von Formentor.
Auch sie sind
unsere Heimat.
"Memòria d’un viatge" [Erinnerung an eine Reise], 1959
Übersetzt von Claudia Kalasz.
(Palma, 1925 – 1993, Palma). Literaturkritiker und Lyriker. Josep Maria Llompart hat kulturellen Initiativen sowie Aktivitäten zur Verteidigung der katalanischen Sprache wichtige Impulse gegeben. Er war Redakteur der Zeitschrift „Papeles de Son Armadans“ und Lektor des Verlagshauses Editorial Moll. Als Lyriker gehörte er zur sogenannten Generation der 50er Jahre. Sein literarisches Werk umfasst unter anderem die Lyrikbände Poemes de Mondragó (1961) und Jerusalem (1990) sowie die Erinnerungen Memòries i confessions d’un adolescent de casa bona (1974). Darüber hinaus hat er Bücher zur Literaturkritik und Literaturgeschichte veröffentlicht.