Antònia Vicens: Sant Andreu Gemeinde
Santanyí

Von da an rief sie mich jeden Morgen, damit ich sie zur Messe begleitete. Diese Schläfrigkeit, diese Schlaffheit des schweißfeuchten Körpers, weich zwischen den Laken, der hässliche Laut! Ich stand auf. Wer hätte es gewagt, einer Cousine zu widersprechen, die die unbefleckte Jungfrau gesehen hatte! Wir wischten uns mit kaltem Wasser durch die Augen, kämmten uns schnell und ab zur Kirche, und das bei Kälte und Dunkelheit, zusammengekrümmt, Arm in Arm. Hin und wieder begegneten wir einem Mann, der den Schleim durch die Gurgel zog und ausspuckte. Katzen miauten klagend, ein Hahn krähte. Am Himmel funkelten die Sterne. Auf den Dächern erahnte man die ersten hellen Stellen des Morgenlichts. Die Häuser verschlossen, vor sich hindösend, grau, bucklig. In der Kirche waren nur ein paar fromme Alte, undeutliche Schatten im winkligen Dunkel der Bänke. Die Kapelle mit ihren rauen Säulen, Stützen eines Gewölbes von Spitzbögen, die an der Decke in einer Art Knoten zusammenkamen, lag im dämmrigen Nebel aus Nachtfinsternis und Tageslicht; die Fenster warfen Blütenmuster, wie ein Wettstreit von Farben auf den Boden aus Naturstein. Vor dem Altar stand der Priester geheimnisvoll und feierlich. Es war Marias Beichtvater. Gemeinsam dachten wir uns aus, alle Mädchen aus dem Ort zu Seminaren in einem außerhalb der Hauptstadt in den Bergen gelegenen Kloster zu bringen.

39º a l’ombra [39º im Schatten], 1968

Übersetzt von Claudia Kalasz.

Antònia Vicens i Picornell

(Santanyí, 1941). Schriftstellerin. Hat Romane, Erzählungen und Lyrik publiziert. Sie ist eine unermüdliche Beobachterin und Autodidaktin. Das literarische Schaffen hat sie mit diversen Tätigkeiten in anderen Bereichen vereinbart. Seit 2000 widmet sie sich ausschließlich dem Lesen und Schreiben. Ihr Werk umfasst Romane wie Ungles perfectes (2007) oder Ànima de gos (2011), Erzählungen und Gedichtbände wie Lovely (2009), Sota el paraigua del crit (2013) und Fred als ulls (2015). 1967 erhielt sie für ihren im Jahr 2002 neu aufgelegten Roman 39º a l’ombra den Literaturpreis Premi Sant Jordi. 2016 wurde ihr literarisches Gesamtwerk mit dem Premi Nacional de Cultura de la Generalitat de Catalunya ausgezeichnet.

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